Donnerstag, 30. September 2010

Hilfreiche oder nicht hilfreiche Literatur - und wovon man sich fernhalten muß

Eigentlich sitze ich ja gerade an einem anderen dicken Posting, das endlich mal die Sarrazin-Debatte und alles, was damit zusammenhängt, zusammenfaßt, abschließt und auf ein neues Niveau hebt bzw. hin zum eigentlichen Problem transzendiert, da kommt mir was anderes dazwischen, was auch schon auf Halde liegt, und da mache ich doch das mal schnell.

Also, was ich sonst selten mache, ist Videos bei Spiegel Online anschauen. Meistens lese ich Sachen lieber, da kann ich Passagen besser überspringen oder querlesen. Jedenfalls sprach mich dieses Mal die Überschrift "Matussek zensiert: Hilfreiche und weniger hilfreiche Literatur", und Matussek kam auf die Kanzlerin, die das Buch von Thilo Sarrazin als wenig hilfreich bezeichnet hat (Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das ihre Worte waren, aber ich will jetzt nicht das Zitat durch zurückspulen überprüfen. In einem Text würde ich das noch machen."). Matussek ni8mmt diese ANregung jedenfalls auf, um noch andere Kataloge von Verlagen auf nützliche Literatur aubzuklopfen und stößt auf Amelie Fried in irgendeiner Literatursendung, wo sie das neue Buch von Martin Mosebach nicht mag, weil der Autor für ein konservatives oder gar rückwärts gewandtes Denken steht, und weil er in einem Verlag publiziert, der auch Autoren der angeblichen neuen Rechen herausbringt, und Amelie Fried deswegen gar njichts damit zu tun haben will.

Joh, und das scheint mir stellvertretend zu sein für eine neue Vorsicht im Denken, die man als geistige Prüderie bezeichnen könnte, jeder möglicherweise falsche Gedanke, der einem falsch ausgelegt werden könnte oder den eigenen Standpunkt und damit den Charakter ein ganz klein bißchen weniger eineineindeutig machen könnte, muß vermieden werden.
Vor etwa einer Woche stieß ich auf etwas ähnliches. Im Bundestag wollten Abgeordnete eine LAN-Party veranstalten, bei der Abgeordnete dann auch mal Gelegenheit haben sollten, Egoshooter und andere umstrittene Spiele auszuprobieren. Der Berliner Kurier, eine Boulevard-Zeitung, fand das aber wegen der gewalttätigen Inhalte unpassend. Ein Sprecher einer Initiative fand das im Hinblick auf die Vorbildfunktion von Abgeordneten nicht hinnehmbar. Das man manches aber auch mal ausprobieren muß, um mitreden zu können, das scheint nicht zu interessieren, wenn die Vorbildfunktion auf dem Spiel steht.

Wovon man sich auch immer distanzieren muß, sind Fernsehsendungen, die man kennt, selbst wenn man sie schrecklich findeet und entweder beim Zappen mal bemerkt hat, oder sie sich sogar einmal absichtlich angeschaut hat, um zu wissen, wie schlimm es ist.

Es gibt natürlich Dinge, hinter die man nicht wieder zurück kann, wenn man sie einmal ausprobiert hat, und was für den einen vollkommen normal ist, auch wenn es vielleicht eine Straftat ist, ist für andere schlicht nicht akzeptabel. Jeder kann das ja mal persönlich für sich beantworten, wenn es um Ladendiebstahl, einen Joint, einen Besuch im Puff oder ums Fremdgehen geht. Man muß auch nicht alles ausprobiert haben, um sich eine Meinung dazu zu bilden. Aber das geistige Fernhalten von nichtgenehmen Inhalten ist mir zu engstirnig.

Ich denke auch, daß man mittlerweile etwas mutiger werden muß, wenn es um kontaminierte Künstler geht. In der FAZ las ich gerade einen Artikel, der den Verlust des Stuttgartes Bahnhofs wegen seines gestalterischen Wertes beklagte, woraufhin ein Historiker ausführlich darlegte, daß sich der Architekt des Bahnhofs, Paul Bonatz, heftig an die Nazis rangeschmissen hatte und völkisch dachte. Mir fehlt es an Kriterien und an Zeit, das jetzt zu überprüfen, aber während ich das las, dachte ich mir nur: "Na und?" Ja, das ist kein Argument, aber ich wußte mir gerade nicht anders zu helfen, außer dem Vorschlag, dem Gebäude durch großzügige Wärmeisolierung zu einem zeitgemäßen und damit ungefährlichen Äußeren zu verhelfen.

Ich kann solch eine Vorsicht ein wenig nachvollziehen, wenn es darum geht, daß man Künstlern, die man strittig findet, kein Einkommen verschaffen will. Ich vermeide es tunlichst, die BILD-Zeitung zu kaufen. Und lesen will ich die auch nicht. Aber wenn ich irgendwo ein Exemplar einer Jungen Freiheit oder vom Neuen Deutschland finde, dann lese ich das natürlich, um herauszufinden, was da so an Unsinn drinsteht (oder auch nicht). Ich gehe lieber die Gefahr ein, ein paar Argumenten in diesen Zeitungen auf den Leim zu gehen, weil ich nicht schlau genug bin, als eine feige Reinheit der Gedanken aufrechtzuerhalten.

Ach ja, Matthias Matussek findet beim weiteren Stöbern in Verlagskatalogen noch Carl Schmitt beim Beck-Verlag, das geht dann ja schon gar nicht mehr, da kannAmelie Fried in Zukunft Bücher aus diesem Hause nur noch meiden.

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